Sie melden rechtsextreme Demos und Aufmärsche an, kundschaften mögliche Anschlagsziele aus, betreiben Blogs, YouTube-Kanäle und Instagram-Chanels und bekleiden hochrangige Ämter in entsprechenden Parteien: Frauen übernehmen die unterschiedlichsten Funktionen in der extremen Rechten. Dennoch werden ihr Wirken und ihre tatsächlich Bedeutung meist unterschätzt – in der Wahrnehmung des Rechtsextremismus in Deutschland spielen sie noch immer eine untergeordnete Rolle. Umso wichtiger ist ein genaueres Bild, damit ihr Anteil und ihr Einfluss in der Szene besser eingeordnet werden kann.
Dafür werden hier nicht nur Einblicke in den wissenschaftlichen Diskurs, Zahlen und Begriffsklärungen gegeben, sondern auch einige eindrückliche Beispiele von Rollen und Funktionen extrem rechter Frauen aufgezeigt. Denn nur, wenn alle extrem rechte Akteur*innen wahr- und ernstgenommen werden, kann Rechtsextremismus in seiner Gänze und gesellschaftlich breiten Verankerung erkannt und ihm demokratisch entgegengetreten werden.
Der Rechtsextremismus-Begriff
Der Begriff des Rechtsextremismus wird in der Praxis und der Wissenschaft viel diskutiert und kritisiert. Die mit ihm in Verbindung gebrachte Extremismustheorie (auch „Hufeisentheorie“) beruht auf der Annahme einer gesellschaftlich gemäßigten Mitte, von der die extremistischen Ränder abgehen. Dieses Verständnis von Rechtsextremismus, wie es unter anderem von Sicherheitsbehörden genutzt wird, gilt in der sozialwissenschaftlichen Auseinandersetzung als überholt: Stattdessen gibt es eine Vielzahl verschiedener Ansätze, die sich dem Phänomenbereich mit einer breiteren Definition nähern.
Wir verstehen Rechtsextremismus daher als einen sozialwissenschaftlichen Sammelbegriff für Ideologien, Verhaltensweisen und Einstellungen, die von der Ungleichwertigkeit von Menschen ausgehen und sich darauf aufbauend gegen die demokratische Gesellschaft wenden. Somit beschreibt der Begriff nicht nur das Spektrum des gewalttätigen Neonazismus, sondern auch Strömungen wie die sich als bürgerlich inszenierende sogenannte Neue Rechte. Verschiedene Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit (GMF) sind also immer Bestandteil der rechtsextremen Ideologie und untrennbar mit dieser verbunden. Zudem spielt Geschlecht im Rechtsextremismus eine zentrale Rolle: sowohl hinsichtlich unterschiedlicher Geschlechterrollen, in der geschlechtspolitischen Agenda extrem rechter Akteur*innen oder bei geschlechtsbezogene Facetten in der Hin- und Abwendung zu rechtsextremen Szenen. Aufgrund ihrer Verbreitung können gerade diese Ungleichwertigkeitsvorstellungen für die extreme Rechte als Brücke zur gesellschaftlicher Mitte fungieren.
Frauen
in der extremen Rechten
(Das Projekt)
Rechtsextremismus stellt aktuell die größte Gefahr für die Demokratie dar. Darauf weisen diverse zivilgesellschaftliche Organisationen und Rechtsextremismusforscher*innen seit vielen Jahren hin, auch die Sicherheitsbehörden sind zu dieser Erkenntnis gelangt.
Fällt das Stichwort Rechtsextremismus, wird aber noch immer hauptsächlich an Männer gedacht, oftmals mit Springerstiefeln und Glatze. Doch dieses Klischeebild ist falsch: Frauen übernehmen in der extremen Rechten unterschiedlichste Funktionen und Rollen, profitieren dabei aber von einer doppelten Unsichtbarkeit (Lehnert/Radvan 2016). Dieser Begriff beschreibt die stereotype Wahrnehmung von Frauen als generell weniger gewalttätig und politisch uninteressiert, was sich beim Blick auf die extreme Rechte noch einmal verschärft. Das ermöglicht rechtsextremen Frauen in weiten Teilen unentdeckt zu agieren.
Sichtbarkeit und Aufmerksamkeit für Frauen
und deren Strategien im Rechtsextremismus erhöhen
Die Rollen, Themenfelder und Strategien, extrem rechter Frauen sind ebenso vielfältig wie die extreme Rechte selbst: Frauen übernehmen darin geschlechtsspezifische oder vermeintlich „typisch weibliche“ Aufgaben und mobilisieren als „besorgte Mütter“, wenn es um Themen wie sexualisierte Gewalt oder den Schutz ihrer Kinder geht, um jene Themen dann rassistisch aufzuladen. Wieder andere präsentieren sich als spirituell-esoterische Demonstrierende, die unter diesem harmlosen Deckmantel antisemitische Verschwörungsideologien verbreiten. Viele extrem rechte Identifikationsangebote sprechen Frauen indes nicht nur in stereotypen Rollen an: Gerade jüngere Akteur*innen zeigen sich vor allem in den sozialen Medien auch hip und modern. Gleichzeitig propagieren sie reaktionäre Familienvorstellungen und skandalisieren Lebensrealitäten, die von der Heteronormativität abweichen. Wieder andere bedrohen Politiker*innen, planen Brandanschläge oder beteiligen sich an rechtsterroristischen Aktionen – Frauen in der extremen Rechten sind ein vielfältiges Phänomen.
Frauen übernehmen für die rechtsextreme Szene nach innen und außen zentrale Aufgaben. Stereotype wie die „friedfertige Frau“, die „treusorgende Gattin“ oder eben die „besorgte“ Mutter wirken wie ein tarnender Weichzeichner der eigentlichen politischen Gesinnung. Darüber hinaus kaschieren diese nach außen getragenen Rollen ihre Funktionen als politische Aktivistin, Journalistin, Verlegerin, Musikerin, Parteifunktionärin oder ihre Rolle bei der Politisierung des Nachwuchses in Erziehungsberufen. Im weiteren Verlauf sind auch sechs Beispiele für derartige Rollen aufgeführt: die neurechte Stichwortgeberin, die Influencerin, die Brückenbauerin, die Parteifunktionärin, die Musikerin und die Kameradschafterin.
Neurechte Stichwortgeberin
Die derzeit wichtigste neurechte Stichwortgeberin in Deutschland ist Ellen Kositza, Journalistin, Verlegerin und nach eigener Auskunft „knallrechts“. Zusammen mit ihrem Mann, dem neurechten Verleger Götz Kubitschek, wird sie gegenwärtig als eine der führenden Vertreterinnen der „intellektuellen“ Rechten wahrgenommen. Sie veröffentlicht in verschiedenen rechten Zeitschriften und tritt als Referentin in der neurechten Denkfabrik „Institut für Staatspolitik“ (IfS) auf. Sie vertritt antifeministische Positionen, ihre politische Einstellung zu Migration oder Aussagen wie in einem „Sammelbandbeitrag von 1995“, in denen sie für die „Todesstrafe für Kinderschänder“ plädierte, können als rechtsextrem eingeordnet werden. Kositza polemisiert in ihren Reden, Büchern, auf Twitter und YouTube gegen den Islam, gegen Gender und politische Gegner*innen.
Wie sieht die Beteiligung von Frauen in der extremen Rechten heute aus?
Nachfolgend unterlegen wir die Beteiligungspyramide mit aktuellen Zahlen. Außerdem veranschaulichen wir anhand von Einzelpersonen beispielhaft diversen Rollen und Funktionen von Frauen in der extremen Rechten. Damit wird zugleich deutlich, dass Rechtsextremismus weder ein „Randproblem“ noch eine „reine Männersphäre“ darstellt, sondern zugrundeliegende Einstellungen und Handlungen in der breiten und eben auch weiblichen Bevölkerung geteilt werden.
Rechtsextremismus
in der Einstellungsforschung
Ungleichwertigkeitsideologien und rechtsextremes Einstellungspotential von Frauen bilden das Fundament der Pyramide. Nur dadurch, dass weibliche Bevölkerungsanteile bis in die Mitte der Gesellschaft (antimuslimischem) Rassismus, Antisemitismus und Verschwörungsideologien, Etabliertenvorrechten und der Abwertung von Trans oder wohnungslosen Menschen breit zustimmen, bleibt die Pyramide stabil und die anderen Akteur*innen- und Organisationsebenen können sich hierauf stützen.
Die Einstellungsforschung hat sich daher zur Aufgabe gemacht, die Verbreitung gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und auch rechtsextremer Einstellungen in Deutschland zu messen. Die größten regelmäßigen Studien waren die Untersuchung „Deutsche Zustände“ um Wilhelm Heitmeyer (2002-2011) und sind die Leipziger Autoritarismus Studie (LAS), deren Arbeitsgruppe um Oliver Decker und Elmar Brähler seit 2002 alle zwei Jahre Erhebungen durchführt. Ebenso ist in diesem Kontext die Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) relevant, die seit 2006 zweijährlich erscheint und von Andreas Zick und Beate Küpper herausgegeben wird. Diese Untersuchungen zeigen, dass Frauen wie Männer über die Zeit in ungefähr gleichem Maße rechtsextremen Facetten und Aussagen zustimmen.
Brückenbauerin
Gerhild Drescher ist ein Beispiel für die wichtige Funktion, sowohl Netzwerke und Brücken in die bürgerliche Mitte zu bauen als auch zwischen den unterschiedlichen extrem rechten Akteur*innen und Netzwerken: So gilt Drescher als zentrale Schnittstelle zwischen der verschwörungsesoterischen „Anastasia-Bewegung“ und rechtsextremen Organisationen wie der Identitären Bewegung. Die Musik- und Volkstanzlehrerin pflegt darüber hinaus engen Kontakt zu dem rechts-esoterischen Projekt Weda Elysia & anderen Anastasia „Landsitzen“ und zu dem rechtsextremen Holocaustleugner Nikolai Nerling. Sie leitete u.a. Volkstanzkurse auf vergangenen Anastasia-Festivals. Seit 1993 ist sie in verschiedenen völkischen Vereinen („Die Heimattreue Jugend“, „Deutscher Mädelwanderbund“ und „Deutsche Gildenschaft“) als Lehrerin für Musik (und Volkstanz) aktiv. Durch ihre Musik- und Volkstanzworkshops innerhalb der Anastasia-Szene kann der Kontakt zu Menschen hergestellt werden, die (noch) kein rechtes oder rechtsextremes Weltbild haben.
Musikerin
Musik verbindet und Ideologien können über Texte transportiert werden. Das machen sich selbstverständlich auch rechtsextreme Musikerinnen zu eigen. Ein Beispiel dafür ist Runa alias Ramona Naggert, eine rechtsextreme Rapperin, die der sogenannten neuen Rechten zugeordnet werden kann. Sie ist Teil des Labels und Vertriebs NDS Records (Neuer deutscher Standard) und war lange Zeit mit „Prototyp“ alias Kai Naggert, ebenfalls ein rechtsextremer Rapper bei NDS, verheiratet.
Die Musik der rechten Sängerin, die dem (offiziell aufgelösten) rechtsextremen Flügel der AfD nahesteht, lief bereits bei Veranstaltungen der Partei und auf ihrem Instagramprofil bedankt sie sich für Einladungen zu Festen der Jungen Alternative.
Darüber hinaus erfährt sie Unterstützung durch das Compact-Magazin. In einem Interview mit der rechtsextremen Zeitschrift gab sie an, dass Rap und Musik als „Mittel zum Zweck“ zu verstehen seien, um Einfluss auf Jugendliche nehmen zu können.
Via: Belltower.News , Zeit
Rechtspopulismus
Rechtspopulismus ist auch bei Frauen anschlussfähig. Rechtspopulistische Orientierungen zeichnen sich durch menschenfeindliche Einstellungen und durch eine Anti-Establishment-Haltung (gegen „die da oben“) mit einem einfachen gut-böse-Denken aus. Rechtspopulist*innen vertreten autoritäre Konzepte und folgen einer politischen Strategie, die polarisiert, alarmiert und Debatten emotionalisiert. Dafür setzen sie auf Vorurteile und Ängste oder eine „gefühlte“ Unsicherheit der Bevölkerung. Frauen und Männer teilen rechtspopulistische Einstellungen gleichermaßen, auch zwischen in der Tendenz „rechtspopulistisch eingestellt“ und „klar rechtspopulistisch eingestellt“ gibt es keine Geschlechterunterschiede (FES 2019).
Rechtspopulismus Gesamtindex nach Geschlecht (Zustimmung in %)
Wahlen
Auf die Einstellungsebene folgen in der Pyramide das Wahlverhalten und Parteienpräferenzen von Frauen. Hier gibt es einen deutlichen Unterschied im Wahlverhalten von Frauen und Männern für Parteien aus dem (extrem) rechten Spektrum. Bei den letzten Bundestagswahlen zeigte sich Folgendes:
Wahlverhalten bei der Bundestagswahl 2021
nach Geschlecht
Die in Teilen rechtsextreme AfD hat im Vergleich zu allen anderen im Bundestag vertretenen Parteien die größte Differenz zwischen Frauen und Männern in der Wähler*innenschaft und wird deutlich häufiger von Männern gewählt (Bundeswahlleiter 2022). Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mann für die AfD stimmt, war bei der Bundestagswahl 2017 fast 40 Prozent höher als die Stimmabgabe einer Frau zugunsten der AfD (Pickel 2019).
Bei den Zweitstimmen bestand die Wähler*innenschaft der AfD bei den letzten Bundestagswahlen stets zu etwa einem Drittel aus Frauen (2013: 3,6 Prozent unter den Frauen, 5,9 Prozent unter den Männern; 2017: 9,2 sowie 16,3 Prozent; 2021: 7,8 sowie 13 Prozent) (Bundeswahlleiter 2022). Da Politikbereiche und das Interesse an politischen Themenfeldern nur wenige Geschlechtsunterschiede aufweisen, wird in der internationalen Forschung vermutet, dass Frauen eine soziale Stigmatisierung durch rechte Parteien fürchteten und dass ein gewalttätiges und aggressives Image die Wahlbereitschaft von Frauen für diese Parteien schwächten (infratest dimap 2018).
Exkurs: NPD
Auch bei den kleineren extrem rechten bzw. neonazistischen Parteien, die auf Landesebene Wahlerfolge erzielten, zeigen sich Unterschiede in der Stimmabgabe von Männern und Frauen. So wurde etwa die NPD bei den Landtagswahlen 2009 in Sachsen, wo die Partei zwei Legislaturperioden im Parlament saß, zu fast zwei Dritteln von Männern und nur zu einem knappen Drittel von Frauen gewählt. Bei der Bundestagswahl 2013 stimmten in Sachsen 6,2 Prozent der wählenden Männer für die rechtsextreme Partei, in der Altersgruppe der 18- bis 25-jährigen Männer waren es gar 9,7 Prozent. Von den wählenden Frauen setzten indes nur 2,5 Prozent ihr Kreuz bei der NPD, in der jungen Altersgruppe waren es 4,9 Prozent.
(Statistisches Landesamt 2009), (Statistisches Landesamt Freistaat Sachsen 2017)
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